Interview mit Matthias Baran – Diplom Designer und Dozent

0
5738
Microphone Audio Music Radio Sound  - Fabrizio_65 / Pixabay
Fabrizio_65 / Pixabay

Für meine Interview-Reihe rund um die Thematik Open Source, bin ich stets auf der Suche nach interessanten Leuten. Natürlich möchte ich auch Menschen zu Wort kommen lassen, die produktiv mit Freier und Quelloffener Software arbeiten.

Hierzu steht mir heute der Diplom Designer und Dozent Matthias Baran aus Halle (Saale) Rede und Antwort.

intux: Hallo Matthias! Ich weiß, dass Du seit vielen Jahren ausschließlich mit Freier Software arbeitest. Wie kam es dazu und wann konntest Du hiermit Dein erstes Geld verdienen?

Matthias: Hallo Frank! So absolut würde ich das für mich gar nicht formulieren, das könnte auf die falsche Fährte führen. Denn einer der großen Vorteile in der Arbeit mit Freier Software besteht ja gerade in der im Kontrast zu kommerziellen Ökosystemen viel größeren Kompatibilität und Offenheit im Umgang mit Werkzeugen und Materialien. Sich seinerseits dann nicht mit Freier Software dogmatisch abzuschotten, finde ich wichtig.

In meinem Job Geld verdient habe ich das erste Mal mit Freier Software vor etwa 10 Jahren mit Animationsclips zur Produktpräsentation. Damals waren für so etwas auf Websites SWF-Dateien üblich. Mich störte die Notwendigkeit und Eigenart des zusätzlichen Plugins. Mein Auftraggeber war experimentierfreudig wie ich und so haben wir das mit Blender und Gimp realisiert. Am Ende waren die kleinen Hebebühnen- und LKW-Animationen sogar in 3D, waren interaktiv und vor allem Plugin- und Plattform-unabhängig. Dank Freier Software. Auch eine Präsentation ersetzten wir bei der Gelegenheit inkl. Schwenk/Zoom einfach durch eine animierte SVG-Datei.
Das fand ich nicht nur cool, weil schlicht, sondern obendrein kompatibler und nutzerfreundlicher. Dass ich da schon live die Vorteile Freier Software erlebt habe, ist mir erst später aufgegangen.

intux: Wie transparent gehst Du mit dem Thema um und wie reagieren deine Auftraggeber darauf, wenn du deine Werkzeuge offenlegst?

Matthias: Transparenz ist vertrauensbildend, ich kläre das gleich zu Beginn. Wobei die Lizenz der Werkzeuge natürlich weder über Qualität noch Effektivität entscheidet und schnell ganz andere Themen wichtig werden.
Ich setze den Fokus von Anfang an auf Arbeitsabläufe, Aufgaben, Ziele, Ergebnisse, nicht auf Programme, Hersteller und Gewohnheiten.

Dadurch stellt sich eine sehr konstruktive Souveränität ein – bei allen Beteiligten.

Ich könnte es auch so formulieren: Ich leiste mir den Luxus, über meine Arbeitsmittel selbst zu bestimmen. Warum auch nicht?

Die entstehenden Freiheiten und der damit einhergehende Lerngewinn rechtfertigen das am Ende immer wieder – auch aus Sicht der Auftraggeber*innen.

intux: Gerade im gestalterischen Bereich kommen viele nicht an den Produkten aus dem Hause Adobe oder Corel vorbei. Mit welchen Produkten arbeitest Du hauptsächlich?

Matthias: Das ist abhängig von den Anforderungen, die die Engagements und Aufträge jeweils mit sich bringen. Ich lege mich da absichtlich nicht fest. So bleibt genug Spielraum, im Zuge der Arbeit neue Tools zu entdecken, zu lernen und auch unkonventionelle Sachen einzubeziehen. Experiment gehört für mich grundsätzlich zur Design-Arbeit. Es geht in meinem Verständnis nicht darum, mit fest gefügten Settings zeitoptimiert Aufträge lediglich abzuarbeiten.
Kreativität braucht Freiheit – womit wir wieder bei Freier Software wären.

Um aber mal einen klassischen Ablauf zu nennen: Zur Gestaltung von Druckvorlagen verwende ich meist zur Bildkonfektionierung Darktable und Gimp, für Layout-Entwurf und Illustration Inkscape, für die Vorlagenerstellung, für einfache Dokumentenprüfung und für den PDF-Export Scribus, für die Dokumentation Vim, zum Datentausch meine Nextcloud-Instanz …
Alles auf Basis von GNU/Linux natürlich. Früher habe ich die Distribution CrunchBang, dann Elementary OS genutzt. Im Moment arbeite ich mit Pop!_OS von System76.

Arbeitsplatz
Arbeitsplatz Videoclips über Animation für einen MOOC

intux: Wo liegen die besonderen Vorteile von Freier Software, nach Deiner Ansicht und warum sollte man damit arbeiten?

Matthias: Viele Freiheiten entfalten sich erst im Arbeitsprozess: Transparenz der Abläufe, Standards in Datenhandhabung und Dokumententausch, Nachvollziehbarkeit, Zukunftssicherheit, Unabhängigkeit usw.
Die Kostenfreiheit Freier Software ist sicher auch ein Argument. Der Zugewinn an Erfahrung, Wissen, Können und eine wachsende vertrauensvolle Arbeitskultur lernt man später aber noch viel mehr zu schätzen.

intux: Erzähle bitte auch etwas über negative Aspekte im Umgang mit Freier und Quelloffener Software!

Matthias: Auch da ist Freie Software transparent: Sie wirft mich auf mich selbst zurück und reflektiert meine Arbeitsweise. Wenn ich es gewohnt bin, nur mit angeblich fertigen Lösungen zu arbeiten, keine Verantwortung für meine Tools und Abläufe übernehmen will, Lernen nicht mag, kann sich das alles sehr sperrig anfühlen.

Die negativen Aspekte in meiner eigenen Arbeit mit Freier Software haben aber so ziemlich alle mit den Realitäten in der Peripherie zu tun. Proprietäre Quasi-Standards für Produktionsdateien, exponentiell steigende Komplexität durch intransparente Abstraktion in Software und Services und vor allem die grundsätzlich anderen Herangehens- und Arbeitsweisen erschweren die Zusammenarbeit. Kreative Diversität, Verständnis, Lernbereitschaft und die Entfaltung der Potentiale von Freier Software werden dadurch ausgebremst.

Um mich herum kann ich das allerdings meist anders einrichten und orientiere von Anfang an auf freie Werkzeuge, offene Standards und Nachvollziehbarkeit. Das gibt eine konstruktive Arbeitsatmosphäre, ich möchte das nicht mehr missen.

intux: Als freiberuflicher Dozent hast Du ja einen guten Einblick in den Bildungsbereich. Ist FOSS überhaupt ein Thema an den Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen?

Matthias: Nö. Ich sage das mit Absicht plakativ. Natürlich gibt es eine nicht mehr kleine Zahl an Bildungseinrichtungen in Deutschland, die Beispiel geben, wie ein erfolgreicher Einsatz von freier und quelloffener Software gelingen kann. Und auch in der öffentlichen Wahrnehmung ist Freie Software mittlerweile irgendwie angekommen. Viele Menschen investieren viel Kraft und Lebenszeit, um Lösungen zu entwickeln und diese zu realisieren. Dafür braucht es Unterstützung, Finanzierung und Wertschätzung!

Tendentiell bin ich in dieser Beziehung aber sehr pessimistisch. Und hoffe gleichzeitig, dass ich damit meilenweit daneben liege.

intux: Warum ist das so? Was läuft da schief und wie könnte man es besser machen?

Matthias: Sich an den Gründen abzuarbeiten, würde wohl den Rahmen des Interviews sprengen. Es ist jedenfalls nicht nur eine Frage der Werkzeuge, ihrer Lizenzen und der Verfügbarkeit.

In meinen Augen braucht es eine grundsätzlich andere Sicht auf die eigene Arbeit. Menschen wieder mehr in den Fokus zu nehmen und nicht Produkte und selbst kreativ mit Resourcen umzugehen – auch mit den technologischen – ist lohnende und spannende Blickrichtung, um es mal positiv zu formulieren.

Lernen ist cool, wenn es gewertschätzt wird, einen Platz hat und sich gute Fragen und Ziele auftun. An letzteren herrscht kein Mangel – siehe Zukunft. Freie Software kann dabei kreatives Medium und Katalysator sein.

Aber alle Analyse ist müßig ohne Praxis.

Seminar „Praxis mit Freier Software“ an der Uni
Seminar „Praxis mit Freier Software“ an der Uni (Wintersemester 2019)

intux: Was denkst Du, wie man das Interesse der breiten Masse für Freie Software wecken kann?

Matthias: Mit Lösungen. Mit Praxis. Mit Kreativität. Mit Orientierung auf Nachhaltigkeit, auch bezogen auf Werkzeuge und Bildung. Mit Freude am Lernen und handwerklichem Können. Und mit der Ermunterung, dass man Hand anlegen darf um die eigene Welt zu gestalten. Und mit einem Trost dafür, dass nie alles perfekt und man selbst immer auf dem Weg ist. Dass man aber immer auch dazugewinnt und Teilen sich lohnt (Wissen, Können, Ressourcen).

intux: Schauen wir etwas in die Zukunft. Welche Visionen hast Du und was denkst Du, wo die Entwicklung hin geht?

Matthias: Ich erlebe schon jetzt eine kleine Portion meiner eigenen Utopie. Ich darf mit Freier Software lernen, inspiriert werden, meine Arbeiten und Aufträge umsetzen und damit mein Geld verdienen. Das wiederum verschafft mir die Freiheit zu lernen, zu experimentieren, bei Gelegenheit das Gelernte auch weiterzugeben usw. Das ist ein Arbeitsleben, das ich sehr mag.

Mein Plan von der Zukunft ist, dass so etwas Schule macht.

intux: Erzähle bitte noch abschließend etwas über aktuelle Projekte!

Matthias: Da läuft viel parallel. Trotzdem nehme mir Zeit für eigene Sachen. Ich bin neugierig, immer. Nicht selten entstehen daraus neue Projekte.

Nächste Schulungen sind ein Online-Seminar „Freie Software für Startups“ und ein Workshop zur Produktion von Trickfilm-Clips im Stopmotion-Verfahren. Ein Auftrag im Bereich Gebrauchsgrafik steht an, aktuelle Produktentwicklungen sind eine mobile Trickfilmbox und Kreativmaterial für die medienpädagogische Arbeit.

Trickfilmbox
Stoptrick-Produktion an der Trickfilmbox

Im Kontrast zum Gewicht des Digitalen, auch im Produktdesign, entwickle ich aber auch wieder ein paar ganz analoge Sachen – ohne Strom und Controller, klassisch gestaltet und traditionell produziert.

Gestalterisch/handwerkliches Lernen und Arbeiten mit Freier Software ist für mich real. Das weiterzugeben und weiterzuentwickeln, mit Neugier und Interesse an Technologie, finde ich wichtig und das wird zunehmend Thema. Und dafür wiederum Angebote zu gestalten, ist ein spannender Job. Mal sehen, wo die Reise hinführt.

Ganz außer Konkurrenz ist es für mich, wenn ich mit meinen Kids experimentieren und herumreparieren kann, was uns so einfällt und vor die Nase kommt. Das ist unangefochten Best-Of.

Repair Café mit Kids: „Wie funktioniert die Kaffeemühle?“

intux: Vielen Dank für das Interview, Matthias.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein